Betrachtung zum Sonntag, den 4. Januar 2004, im Schwabacher Tagblatt von Prädikant Michael Reichel.
Das Jahr 2003 wurde in Deutschland an zahlreichen Orten als “Jahr der Bibel” begangen. Viele Menschen sind erstmalig oder erneut den Worten und Geschichten der Bibel begegnet. Manche haben dadurch neu Orientierung und Halt gefunden. Und das Jahr 2004? Wird es jetzt ein “normales” Jahr, ein Jahr ohne Überschrift, ein Jahr ohne Bibel?
In Schwabach ist ein “Jahr des Goldes” angesagt. Gute historische und ökonomische Gründe dafür gibt es und erfolgreich möge es werden. Freilich, das gern bemühte Zitat aus Goethes Faust lautet vollständig so: “Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles! Ach wir Armen!”
Beim Abschlussgottesdienst der deutschlandweiten Aktion “Jahr der Bibel” am 28. Dezember im Mainzer Dom, den führende Persönlichkeiten der Evangelischen Kirche, der Katholischen Kirche, der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen und der Evangelischen Allianz gemeinsam gefeiert haben, hat der neue Ratsvorsitzende der EKD, der Berliner Bischof Wolfgang Huber, das Motto vorgegeben: Nach dem “Jahr der Bibel” mit der Bibel durch die Jahre!
Mit den “drei weisen Begleitern aus dem Abendland”, mit Rücksicht, Einsicht und Zuversicht, solle dieser Weg gemeinschaftlich beschritten werde. Als Rücksicht auf die tragenden Quellen und Wurzeln unserer Geschichte bleibe die Vermittlung der Bibel eine riesige kulturelle Bildungsaufgabe. Die Einsicht in die Einzigartigkeit der Bibel als Glaubensanspruch und Lebensgrundlage lasse die Welt mit anderen Augen sehen. Zur Zuversicht im ökumenischen Zugehen aufeinander blieben die christlichen Konfessionen im Blick auf die Bibel als ihre gemeinsame Grundlage herausgefordert.
Aber wie kann dieser bleibende Zugang zur Bibel für uns einfach und praktisch aussehen, liebe Leserin, lieber Leser? Ich möchte Sie einladen, es — alle Jahre wieder oder heuer zum ersten Mal — mit den “täglichen Losungen der Brüdergemeine” zu versuchen. Seit 274 Jahren hat diese in Herrnhut in der Lausitz durch Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf entstandene kleine evangelische Freikirche für jeden Tag zwei ausgewählte Bibelworte benannt. Die Losungen möchten helfen, Gottes Wort mitten im Alltag zu hören und aufzunehmen. Darum sind sie kurz und einprägsam. Im Gang durch das Jahr erschließen sie dennoch den Reichtum der biblischen Botschaft. Die einzelnen Verse aus dem Alten und Neuen Testament laden dazu ein, die jeweiligen Bibeltexte in ihrem Zusammenhang zu lesen.
Menschen erleben dabei, wie Gott durch diese Schriftworte persönlich anspricht. Die Worte aus dem Alten Testament sind drei Jahre im Voraus ausgelost worden, und auch diejenigen aus dem Neuen Testament stehen schon lange fest, wenn das Losungsbuch in den Handel kommt. Und doch machen immer wieder Leserinnen und Leser der Losungen die Erfahrung, dass der lebendige Gott sie durch diese guten Worte anspricht, im richtigen Moment und auf eine treffende Weise. Manchmal bestätigt es, manchmal stellt es in Frage, manchmal korrigiert es, oft überrascht es.
Die traditionelle Form der Losungen ist das gedruckte blaue Losungsbüchlein, eine wahre geistliche Fundgrube: Für weniger als vier Euro in jeder Buchhandlung erhältlich, bringt es zu den täglichen beiden Bibelworten passende Meditationen, Gebete und Liedverse, Anleitungen und Hilfen zum Beten und Bibellesen, einen sehr informativen liturgischen Kalender. Es sollte eigentlich für jeden greifbar sein.
Seit Jahren aber haben die Losungen auch die moderne Welt der Computer erobert. Auf der Internet-Seite www.losung.de kann man sich — als kostenlose Freeware — unterschiedliche Losungsprogramme für alle Betriebssysteme herunterladen und auf seinem Rechner installieren, egal ob stationär, am Notebook oder auf den kleinen Pocket-PCs. Das lässt sich z. B. so einrichten, dass die Losungen automatisch beim Start des Rechners oder als Bildschirmschoner erscheinen. Man kann sie — in einer Auswahl aus 16 Weltsprachen — mehrsprachig einrichten und so Fremdsprachen- und Bibelkenntnisse in einem testen und verbessern. Und die Installation ist, auch für Computer-Laien, wirklich problemlos. Wer es noch einfacher möchte: Viele christliche Organisationen stellen die aktuelle Tageslosung in ein Fenster ihrer Startseite, in Schwabach z. B. die Evangelische Allianz.
Noch zwei knappe Gedanken, warum ich Ihnen die Losungen ans Herz legen möchte:
- Die Losungen wurden eine gewaltige “Erfolgsgeschichte”. In 50 Sprachen und in Millionenauflage erscheinen die Losungen heute in Europa, in Afrika, Amerika und Asien. Ihre Leser zeigen sich deshalb mit Christen aus aller Welt verbunden, sind eingegliedert in die Ökumene im eigentlich Sinn des Wortes, wissen sich verantwortlich für die ganze, die globale Welt. Graf Zinzendorf, der Vater der Losungen, hatte diese von Anfang an im Blick und war deshalb ein führender Pionier der christlichen Mission.
- Die Jahreslosung für 2004 lautet: “Jesus Christus spricht: Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen” (Markus 13.31). Sosehr auch die Perspektive dieser biblischen Verheißung bei Weitem darüber hinausreicht, für Millionen Menschen zeigt sich deren Wahrheit und Gültigkeit auch bei ihrem Blick auf die “tägliche Losung”. Ich bin gerne wieder dabei.